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Vollständige Version anzeigen : Pockets - Zwischen Wahn und Unsterblichkeit



lungard
11.11.2006, 19:44
Die Morgensonne lag noch weit unter dem Horizont und zeichnete nur ein leichtes Schimmern an den Nachthimmel. Oonai kroch vorsichtig aus dem Bett. Er strich seiner noch schlafenden Fhayd über die samtweiche Haut und deckte sie wieder zu. Nachdem er sich angezogen hatte, schlich er unsichtbar aus dem Zimmer. Vor der Türe schnarchte Ishi, seinen Zweihänder fest umklammernd und im Traum ab und zu leicht Schmatzend. Oonai schmunzelte. Wenn es für Nhijks kein Problem war, aus der Stadt zu kommen, warum sollte es also für ihn eines darstellen?
Unsichtbar schlich er sich durch die Gassen, vorbei an Fischhändlern, die gerade die Auslage für den Markt vorbereiteten, an Bettlern, die die Gemüsehändler nach altem Obst fragten, an den von der Nacht durchgefrorenen Wachen, die gegen die Tagschicht ausgetauscht wurden.

Der Wirt ging dort hin, wo er immer verweilte, wenn er Probleme mit sich und der Welt zu lösen gedenkte. Sein Atem ließ in der Morgenkühle noch immer Dampfwolken entstehen und vermischte sich mit dem Geruch der Toten, die ihn umgaben. Der Friedhof bot Oonai eine günstige Gelegenheit, ein wenig zu entspannen. Zwischen den verrottenden Leibern in den Gräbern und den wandelnden Skeletten gab es etwas, das er selten in Freihafen fand: Ruhe.
Hier konnte er mit sich alleine sein.
Er grüßte den einen oder anderen heim kehrenden Wandelnden, der vor den nahenden Strahlen des Tages floh, um abermals in sein feuchtes Grab hinab zu steigen.
Oonai setzte sich auf ein Hochgrab und dachte nach.

Nur kurz mußte er schmunzeln, kurz kam ihm der Gedanke dazwischen, daß er ja nun eigentlich anderes zu tun hätte, nun, da Fhayd und er bald verheiratet wären...
Aber er besann sich schnell wieder und dachte über das schwierigere Problem nach. - Pockets.

Dieser elende, verruchte, dem Wahnsinn verfallene Hexer! Er hatte es tatsächlich geschafft! Er entkam den Höhlen des Nektulos! Oonai schüttelte seinen Kopf und spielte an einem losen Stein des Hochgrabs herum. Nie hätte ihm jemand das zugetraut. Als die Ratte die Taverne betrat, spürte Oonai die eisige, finstere Hand, die sich ihm um den Hals legte. Er sah den kalten Blick, der tief im inneren trotzdem loderte. Ja, er loderte, vor Hass, vor Neid, Missgunst und Rachsucht.
Pockets hatte ihn bedroht... ihn und was noch schlimmer war, Fhayd. Er wollte seine Rache tränken, die sein totes Herz bereits völlig ausfüllte. Tot? ... Eher untot.
Oonai kannte den Zustand nur zu gut, den Pockets nun hatte. Nur kannte er diesen Zustand aus der Vergangenheit und das jagte ihm einen Schauer über den Rücken. Nun, da er verletzlich, sterblich und angreifbar war, hatte Pockets die besseren Karten. Er war zum Guhl geworden. Suchend... gierig... unsterblich... und schnüffelte ohne Scham in Oonais Büchern herum. Er hatte es schon einmal versucht. Vor einiger Zeit, als er noch nicht in den Wald von Nektulos aufgebrochen war. Doch nun suchte er gezielt.

Ishi, der wahrscheinlich noch immer vor seiner Türe schlief, war der erste nach Pockets Besuch in der Taverne.
Er wusste bescheid, warnte ihn und versprach, jemanden zu schicken, der vom Erfolg Pockets ebenfalls wusste...

Diese Unterstützung kam in Form von Fhayds Schwager Kheeran, ein zukünftiger Verwandter Oonais. Es war jedoch nicht nur ein lustiger Waldelf, der dort zur Türe hereinkam, es war vielmehr einer jener Sorte, die Pockets in den Höhlen aufgesucht hatte. Ein leibhaftiger Blutsauger!
Pockets brauchte sie, um deren Saft des Lebens, deren unendlichen Lebens zu ergattern. Doch sein Gesuch wurde nicht erhört, so erzählte Kheeran.
Nun war Pockets auf seinem Rachefeldzug, auf der Jagd nach Kheeran, auf der Suche nach Vampierblut. Daß ihm sich so eine perfekte Gelegenheit darbot, auch die verhasste Fhayd und seinen Erbfeind Oonai zu zerstören, der ihm früher im Weg stand, da er den Dolch der Verdammnis verwahrte, war ihm gewiss nicht zuwieder.
Nun galt es, diesen Verrückten auf zu halten, ihm seine Macht, die Oonais mittlerweile um Längen übertraf, zu nehmen oder wenigstens zu binden, zu fesseln. An ein Artefakt wie... das Buch der Toten...

Kheeran hatte Oonai offenbart, welche Macht in diesem eigentlich so unscheinbaren Gegenstand lag. Es band die Mächte der Untoten. So auch die von Kheeran. Falls Pockets eine Abschrift des Buches ergatterte, hätte er die Möglichkeit, damit Kheeran zu binden und ihm seinen Lebenssaft zu entreißen.

Oonai schnippte den Stein gegen ein vorbeilaufendes Skelett und verließ den Friedhof gen Nordfreihafen.

Nach zwanzig Minuten Fußweg schlüpfte er wieder unter die Decke zu Fhayd, die noch immer fest schlief.

Nur der an Oonai haftende Geruch des Todes verriet seinen Ausflug...

Er schloss seine Augen und versuchte, sich zu entspannen.


Pockets musste gestoppt werden.

Auf welchem Weg auch immer.