PDA

Vollständige Version anzeigen : 04_Der Bote



Aesculap
27.05.2004, 20:03
[Gryphus ist der Meinung, ich soll auf die Faulen Rücksichtnehmen, und die Fortsetzungen nicht nur auf der Homepage posten... voilá, hier geht es weiter:]

Wenige Tage später wurden Ijo und Othender wieder zum Gildenhaus der Barden befohlen. Schon als die beiden durch die großen Holztore traten, merkten sie, daß dieses Mal etwas anders war. Starwatcher saß zwar wie immer leicht gelangweilt auf einem Stuhl in der Sonne, ein Humpen Bier in seiner Hand, aber es waren nur zwei Gildenmeister anwesend, zwischen denen Sindl Talonclaw stand. Hinter dem Krieger lagen verschiedene Waffen fein säuberlich geschlichtet.

Zu Beginn überließ Sindl den beiden jüngeren Elfen die Wahl der Waffen und so trainierte Ijo am ersten Tag mit einem leichten Scimitar und Oth entschied sich für ein, im Vergleich dazu klobiges, Bastardschwert. Die Bardenmeister beobachteten die Kämpfer genauso aufmerksam, wie der Cleric, der es allerdings schaffte, dennoch einen gelangweilteren Eindruck zu machen. Am zweiten Tag allerdings eröffnete Sindl seinen neuen Schülern, daß die anderen Waffen abenfalls benutzt werden sollten. "Ihr werdet nicht immer die freie Wahl haben und mit dem kämpfen müssen, was ihr findet. Das mag manchmal die Waffe eurer Wahl sein, aber meistens ist es eine, die euch nicht so liegt oder gar für eine andere Rasse geschaffen wurde." Am heutigen Tag war der Teil der Gildenhalle, in der die drei Elfen trainierten, leer und die Tore zu den anderen Bereichen verschlossen. Ijo wußte, daß die Barden viel zu tun hatten und gestern ihretwegen die meiste Arbeit brachgelegen haben mußte.

Sindl wählte die schwersten Waffen für die beiden jüngeren Elfen aus, er selbst allerdings nahm ein einzelnes Langschwert. Auch wenn Othender sich Anfangs leichter tat, seine massige Waffe zu schwingen, so fühlte der Hochelf doch bald seine Kräfte schwinden und die ersten Anzeichen eines grausamen Muskelkaters. Ijo, der viel zarter gebaut war und über deutlich weniger Muskelmasse verfügte, kämpfte verbissen mit dem riesigen Morgenstern und wollte seinem Vater nicht den Triumph gönnen, ihn wieder einmal Versager schimpfen zu können. Sindl hielt sich zwar zurück, aber sein Schwert fand oft genug eine Lücke in der Verteidigung und fügte beiden Elfen diverse Wunden zu. Wenn auch nicht tödlich, so waren sie schmerzhaft und dem Kampf hinderlich. Ab und zu ordnete der Waldelfenkrieger kurze Erholungspausen an, in denen Starwatcher die Verletzungen der beiden Schüler heilte. Der Cleric schien überhaupt aufzutauen. Er feuerte die Kämpfer an und machte Beinahe den Eindruck, das ganze Spektakel zu genießen. Was Ijo dennoch mißtrauisch machte, war die Tatsache, daß Starwatchers Bierhumpen immer gut gefüllt blieb, egal wie kräftig die Schlucke des Elfen waren, ohne daß er wieder aufgefüllt werden mußte. Ab und zu verschwand der Hochelf, wahrscheinlich um sich zu erleichtern. Als er wiedermal die Gildenhalle kurz verließ, näherte sich Ijo dem Krug, den der Heiler neben seinen Stuhl gestellt hatte, er streckte die Hand aus, aber dann hörte er die Stimme seines Vaters in gebieterischem Ton seinen Namen rufen. Ijo kehrte seuftzend und unbefriedigt wieder an seinen Platz zurück und nahm sich vor, den Humpen ein anderes Mal genauer unter die Lupe zu nehmen.

Am Abend war Ijos Lederrüstung zerschlissen und auch Othenders kunstvoll gearbeiteter Brustpanzer hatte etliche Löcher bekommen. Den beiden Elfen tat jeder einzelne Muskel weh, als sie verschwitzt und erschöpft das Gildenhaus verließen. Allerdings führte Ijo sie nicht wieder zurück nach Hause, sondern machte vor einem anderen Gebäude halt. "Ich glaube, ein warmes Bad wäre jetzt genau das Richtige, was meinst du?" Oth nickte müde. In Ijos Elternhaus gab es sehr wohl auch die Möglichkeit, ein warmes Bad zu nehmen, aber wenn der kleine Barde lieber hierher ging... Er folgte seinem Gefährten durch die schmale Türe und stand wenige Augenblicke später in einem Holzraum, der mit warmen Licht erleuchtet war. Dennoch wurden seine Augen nicht geblendet, die Helligkeit lag nur knapp über der des Vollmondes in einer klaren Nacht. Zwei Waldelfenfrauen in kurzen Kleider aus heller, leichter Eichenseide begrüßten die beiden Männer und nahmen jeder einen von ihnen an der Hand. Ijos Begleiterin war kaum größer als er und hatte schulterlange, tiefrote Haare, die sie mit eingeflochtenen Blättern und Rindenstücken verziert hatte. Sie lächelte die beiden Besucher an und übernahm die Führung. Im Vergleich zu der zierlichen Hand von Oths blonder Waldelfe, wirkte seine wie die Pranke eines Barbaren und er kam sich auf ein Mal klobig und ungepflegt vor. Ein Teil von ihm sehnte sich wieder zurück nach Felwithe, vermisste die ruhigen Tage, bevor sich die ganze Welt plötzlich gegen ihn zu wenden schien und sein gesamtes Leben auf den Kopf gestellt wurde. Sein Körper sehnte sich nach dem Gefühl der zarten Mondseide statt dem rauhen Leder seiner Rüstung, er wollte wieder die Lieder seines Volkes in der Nacht leise an sein Ohr dringen hören, anstatt immer wieder das Geschrei sterbender Lebenwesen. Inzwischen hatten sie einen kleinen Gang erreicht, der links und rechts Türen zu kleinen Zimmern hatte. Ijo und seine Begleitung betraten eines davon, Oths Elfe führte ihn in das daneben. Drinnen gab es einen Spiegel, ein kleines Regal, einen Stuhl und einen Tisch. Die Elfe half Othender vorsichtig aus der Rüstung, darauf bedacht, seine schmerzenden Muskeln so wenig als möglich zu bewegen, während der große Hochelf noch immer in wehmütigen Erinnerungen versunken war. Teile dieser Gedanken mußten sich wohl auf seinem Gesicht wiederspiegeln, denn seine Begleitung sagte zu ihm: "Nach einem entspannenden Bad werdet Ihr euch gleich besser fühlen, Herr Hochelf." Erschrocken blickte Othender die Frau an. Woher wußte sie das? Konnte jeder seine Herkunft so deutlich erkennen? Er hatte sich große Mühe gegeben, die Bewegungen und den Akzent eines Menschen zu imitieren - sobald die Fier'Dal davon erfuhren, daß er sich hier aufhielt, würden sie ihn jagen kommen... Die Waldelfe lächelte den großen Elfen beruhigend an und beantwortete seine unausgesprochende Frage: "Seht mich nicht so entsetzt an, Euer Geheimnis ist bei mir und meinen Schwestern sicher. Euer Auftreten mag zwar die anderen täuschen, aber ich erkenne den Körperbau eines Fier'Dal, wenn sich einer vor mir auszieht." Völlig überrumpelt stellt Oth fest, daß die Waldelfe ihm tatsächlich aus sämtlichen Kleider geholfen hatte, ohne daß er es bemerkt hatte. Splitternackt, stinkend und schmutzig stand er vor ihr und fühlte sich äußerst unwohl. Es war unter Hochelfen nicht üblich, sich anderen Personen nackt zu zeigen, aber für ihn war es so verschwitzt und ungewaschen noch unangenehmer. Seine Begleiterin nahm in kichernd wieder an der Hand und sagte: "So ein großer, kräftiger Kerl und so schüchtern... Kommt! Wenn wir uns beeilen, seid Ihr im Wasser, bevor Euer Freund und meine Schwester fertig sind und Euch sehen könnten." Sie zog Othender förmlich hinter sich her, in einen großen Raum, in dem aus Holz geschnitzte, reichlich verzierte Wannen standen. Einige für eine Person, aber auch einige, in denen wohl auch ein Dutzend Elfen ausreichend Platz hatte. Gerade als Oth in eine der Wannen kletterte, betraten auch Ijo und die zweite Waldelfe das Zimmer. Rasch verschwand der Hochelf bis zum Hals in dem warmen Wasser, aber die beiden Neuankömmlinge beachteten ihn kaum. Ijo tauchte in seiner Wanne kurz unter und als er wieder an die Oberfläche kam, hatte seine Begleitung einen Schwamm geholt und begann ihn sanft abzuschrubben. Entsetzt darüber, daß sich sein Kamerad von einer fremden Frau waschen ließ und das offensichtlich auch noch genoß, bemerkte der große Hochelf nicht, daß auch 'seine' Waldelfe ähnliches Werkzeug organisiert hatte. Erst als sie damit begann, seine Brust zu reinigen, wurde Othender klar, daß auch ihm ähnliches bevorstand. Er hatte immer versucht, anderen Kulturen gegenüber aufgeschlossen zu sein, deren Bräuche zu respektieren und sie nicht von vornhinein abzulehnen, aber das war zu viel. Er wich zurück, packte den Schwamm und zog kräftig daran an, wodurch seine überraschte Begleitung das Gleichgewicht verlor und vornüber zu ihm in die Wanne kippte. Als die Waldelfe nach Luft ringend wieder aus dem Wasser auftauchte, hörte Oth Gelächter und Ijos Stimme erklang mit neckendem Unterton: "Man könnte dich beinahe für einen Waldelfen halten, Großer..." Protestierend hob der Hochelf den Schwamm und sagte: "Ich wollte nur das hier... Bei uns lernt man schon als Kind, wie man sich wäscht und wir brauchen keine Hilfe dabei." Der kleine Barde verschränkte die Arme hinter dem Kopf und erwiederte entspannt: "Also ich finde das ganz schön so..." "Aber ich nicht!" Oth versuchte die naße Waldelfe so rasch als möglich aus der Wanne zu bekommen, ohne daß sie ihn aus Versehen irgendwo berühren konnte. Er wollte nur seine Ruhe und den Schwamm. Der Rest konnte von ihm aus Orgien im Wasser feiern, aber für ihn war das undenkbar. Die leicht mitgenommene Elfe kletterte aus seiner Wanne und stand dann tropfnaß einige Sekunden da, bevor sie sich zu ihm beugte und flüsterte: "Ihr hättet nur sagen brauchen, daß meine Hilfe unerwünscht ist, hier wird niemand zu seinem Glück gezwungen." Oth murmelte eine Entschuldigung und war heilfroh, als die Waldelfe dann den Raum verließ, wahrscheinlich um sich etwas Trockenes anzuziehen. Langsam entspannte er sich und bemerkte nach einiger Zeit erstaunt, daß es nicht einfaches Wasser war, mit dem die Wanne gefüllt war. Oben auf der Oberfläche schwammen Blumen und Blätter und die ganze Flüssigkeit duftete nach Wald, nach frischen Kräutern und Tannennadeln. Oth entging auch nicht, daß sich der Schmutz selbst aus seinem zotteligen Bart fast von selbst löste und das rythmische Schrubben, mit dem Ijos Begleitung seinen gesammten Körper bearbeitete, eigentlich überhaupt nicht nötig war. Langsam konnte auch der Hochelf das Bad genießen und fühlte, wie sich seine geschundenen Muskeln zu entspannen begannen. Oth lehnte den Kopf zurück und konzentrierte sich darauf, die Ruhe auch auf seine Gedanken übergehen zu lassen. Er befand sich schon beinahe in dem Trance ähnlichen Zustand, den er am erholsamsten empfand, als er eine vorsichtige Berührung an der Schulter spürte. Es dauerte einige Sekunden, bis er alle Sinne wieder auf diese Welt gerichtet hatte und die Augen aufschlug. Neben der Wanne stand wieder die blonde Waldelfe, in frischem Gewand und mit einem weichen Tuch in den Händen. "Verzeiht, ich wollte Euch nicht wecken, aber das Wasser wird langsam kalt, Ihr solltet nicht länger in der Wanne bleiben." Sie machte Oth Platz, daß er aus dem Wasser steigen konnte, das inzwischen tatsächlich schon ein wenig kühl geworden war, und reichte dem Hochelfen das große Tuch. Während er sich abtrocknete und die Waldelfe ein wenig abseits stand, ließ sich Ijo von seiner Begleitung in ein ähnliches Tuch wickeln und sanft trocken reiben. Der Barde genoß auch diesen Teil sichtlich, was Oth zu dem Schluß brachte, daß die Koa'Dal tatsächlich so vergnügungssüchtig sein mußten, wie in all den Schriften in Felwithe geschrieben stand. Die blonde Waldelfe nahm ihm zu seinem Entsetzen das inzwischen feuchte Tuch wieder weg und während Ijo seiner Begleitung nackt durch eine weitere Türe folgt, reichte die andere Frau Othender ein würzig riechendes Tuch - ganz offensichtlich ein aus Tannenessenz gewebter Stoff. "Es ist zwar nicht üblich hier, aber Ihr sollt Euch nicht unwohl fühlen." Der Hochelf war von dem betörenden Geruch ein wenig benebelt und reagierte nicht sofort auf das Angebot der Frau. Die wickelte ihm daraufhin das Tuch ein Mal um die Hüften und band es mit einem lockeren Knoten fest. "Folgt mir."

Othender betrat als letzter das kleine Zimmer, das gänzlich mit rötlich schimmerndem Holz verkleidet war. An der linken und rechten Wand hing eine kunstvoll gearbeitete Laterne, in der jeweils eine kleine Lichtkugel den Raum erhellte. Es gab kein Fenster in diesem Raum, dafür allerdings zwei Matten am Boden. Ijo hatte sich schon auf eine davon gelegt und die rothaarige Waldelfe war damit beschäftigt, ihn wie Brotteig zu bearbeiten. Der Hochelf beobachtete das Schauspiel fasziniert. Er hatte bisher nur Geschichten über das gehört, was die Waldelfen als Massage bezeichneten. Während Oth den beiden einige Augenblicke zusah, wartete seine Begleitung geduldig neben ihm. Diese Behandlung konnte einfach nicht angenehm sein. Oths Muskeln schmerzten schon beim Stehen, wenn er sich jetzt vorstellt, daß sie jemand so grob berührte... "Legt Euch doch hin, ihr werdet sehen, wie entspannend eine Massage sein kann. Ich verspreche Euch, sanft anzufangen und sofort aufzuhören, sollte es Euch nicht gefallen." Mit zweifelndem Gesichtsausdruck kam der Hochelf dieser Bitte nach, während er penibel darauf achtete, daß das Tuch weiterhin an seiner Stelle blieb. Ja, die Prozedur war teilweise schmerzhaft, aber zu Oths Erstaunen entspannten sich seine geschundenen Muskeln und die Schmerzen wichen einer dumpfen, wohligen Wärme. Die Waldelfe massierte ihn von oben bis unten und benutzte dazu ein Öl, das wie Zitronenmelisse und Bucheckern roch. Oth schloß nach einer Weile die Augen und entspannte sich gänzlich. Er vergaß sogar, daß ihn da eine gänzlich fremde Person berührte und das eigentlich gegen die Sitten und Gesetze sowohl seiner Heimat als auch seines Glaubens war.

Als die blonde Waldelfe die Massage beendete, war Othender beinahe ein wenig traurig. So entspannt, so geborgen hatte er sich schon seit Jahren, nein, seit fast einem Jahrhundert nicht mehr gefühlt. Er öffnete die Augen und blinzelte ein paar Mal in das Licht, das ihm plötzlich sehr hell erschien. Es dauerte einige Augenblicke, bis er begriff, was er da auf der anderen Seite des Raumes sah. Ijos Massage war anscheinend auch zu Ende, aber im Gegensatz zu ihm, dachte der junge Barde nicht daran, einfach aufzustehen und sich wieder anzukleiden. Er hatte die rothaarige Elfe zu sich hinunter auf die Matratze gezogen und war dabei, sie mit geschickten Handgriffen zu entkleiden, während sie sehnsüchtige Küße austauschten. Ijo hatte nie etwas von dieser Frau erzählt, Oth war also klar, daß die beiden kein Paar waren, er mußte also davon ausgehen, daß das entweder zum 'Service' dazu gehörte oder von den Gästen als eine Art 'Bezahlung' erwartet wurde. Panik stieg in ihm hoch und eine eisige Kälte umklammerte sein Herz. Er konnte nicht... er durfte nicht! Oth rappelte sich rasch auf und wich einige Schritte zurück - was ihn gegen die zweite Waldelfe taumeln ließ. Bevor der haarige Hochelf allerdings die Flucht ergreifen konnte, hatte seine Begleitung ihn an der Hand gepackt und hielt ihn mit einer Kraft zurück, die er der zierlichen Frau nicht zugetraut hatte. "Wartet! Zieht keine voreiligen Schlüsse und macht nicht die ganze Entspannung der Massage zunichte. Niemand zwingt Euch hier zu irgendetwas. Ihr seid nicht der erste Hochelf, den wir unter unserem Dach begrüßen durften. Beruhigt Euch und zieht Euch wieder an." Oth versuchte die Panik zu unterdrücken und nickte schwer atmend.

Im Umkleidezimmer fand der Hochelf statt seiner dreckigen Sachen, eine saubere Hose und ein Hemd, beides aus einfacher Baumseide gearbeitet, aber bei weitem bequemer als die Lederrüstung. Draußen wartete schon die blonde Waldelfe und führte ihn Richtung Eingangsbereich. "Eure Sachen habe ich hier her gebracht, damit Ihr sie nicht vergesst. Das Gewand könnt Ihr im Laufe der nächsten Tage wieder zurück bringen. Wollt Ihr auf Euren Freund warten?" Oth nickte. Eigentlich hatte er keine Lust hier noch die nächsten Stunden zu warten, aber er wollte auch nicht ohne den Barden zurückkehren. Sie hatten einen schwach beleuchteten Balkon betreten, von dem aus man Teile der Stadt sehen konnte. Es war inzwischen richtig finster geworden und obwohl Oth das bunte Treiben sehen konnte, war es hier erstaunlich still. Die Plattform, auf der dieses Gebäude stand, war am Rande Kelethins, aber nicht weit genug weg, um diese herrliche Stille zu gewährleisten. Die Elfen mußten mit Magie nachgeholfen haben. "Setzt Euch doch!" Oth hatte gar nicht bemerkt, daß die Waldelfe nicht mehr neben ihm stand. Sie saß am Rande des Balkons und ließ die Beine hinunter baumeln. Der Hochelf setzte sich in einem sittlichen Abstand zu ihr ebenfalls auf den Boden und lehnte den Kopf an die Reling. "Erzählt mir von Felwithe! Angeblich scheint dort die Sonne jeden Tag und es blühen bunte Blumen auf den Häusern." Oth mußte über den Enthusiasmus in der Stimme der Waldelfe beinahe lachen. "Ja, dort wachsen Blumen auf den Häusern. Es ist eine Art Efeu, der sich über jedes Gebäude rankt. Selbst wenn wir wollten, gegen diese Pflanze sind auch die mächtigsten Magier machtlos. Es ist also nicht unser Verdienst, daß in Felwithe die Häuser blühen. Und die Sonne scheint auch nicht jeden Tag. Wenn es regnet, regnet es eben. So wie in jedem anderen Teil Faydwers auch. Allerdings blieb Felwithe bisher von allzu starken Stürmen und Unwettern verschont. Ich weiß nicht, woran das liegt, aber ich glaube nicht, daß das einer der Gilden zu verdanken ist."

Othender saß eine Weile still da und besuchte in Gedanken die Stadt seiner Kindheit - nicht das Felwithe, wie er es als Erwachsener kennengelernt hatte, sondern die Stadt seiner naiven Träume, damals, als das 'Böse' für ihn der Clan Crushbone war, unglaublich weit weg... "Ihr seht so traurig aus. Verzeiht, falls ich etwas falsches gesagt habe..." Oth wurde sich seiner Umgebung wieder bewußt. Er durfte sich den Erinnerungen nicht hingeben. Auch damals war die Welt schon korrupt gewesen. Einzig durch seine Mutter, die alles schlechte von ihm abschirmte und ihm Sicherheit und Geborgenheit vermittelte, und seine grenzenlose Naivität hatte er damals noch nichts davon bemerkt. "Es muß hart sein, aus seiner Heimatstadt verbannt zu werden." Der Hochelf war der Frau einen nachdenklichen Blick zu. Sie war anscheinend eine gute Beobachterin und nicht auf den Kopf gefallen. Aber daß es so leicht zu erraten war, das gefiehl ihm überhaupt nicht. Die Waldelfe streckte eine Hand aus und berührte ihn sanf an der Wange, was einen warmen Schauer durch seinen Körper sandte - die erwartete Kälte blieb allerdings aus. "Othender Silverstream, vertraut auf Tunare..." Der Hochelf zuckte zurück, als hätte er einen Hieb gegen den Kopf erhalten. Es konnte nicht sein, daß diese Frau wußte, wer er war! Wenn sie es wußte, wußten es auch die anderen Elfen! Wahrscheinlich war schon ein Trupp von Felwithe unterwegs hier her! Man würde ihn wieder jagen und er wußte nicht, ob er ihnen nochmals entkommen konnte. Die Waldelfe nahm seine Hand und Oth sah sich außerstand aufzuspringen und das Weite zusuchen, so, wie er eigentlich wollte. Seine innere Stimme schrieh, daß er keine Zeit verlieren durfe, aber die Ruhe, die Zuversicht, die von dieser Berührung ausging, sie schien seinen Willen vom restlichen Körper zu lösen, ließ die Panik wie eine kleine Regenwolke über seinem Kopf schweben. Langsam nahm die Frau ihre Hand wieder weg und Oth war überrascht, daß er tatsächlich sitzen blieb. "Als ich gesagt habe, daß Ihr mir und meinen Schwestern vertrauen könnt, habe ich das auch so gemeint, Herr Hochelf." Fasziniert sah er ihr dabei zu, wie sie ihr Kleid öffnete und ihren blanken Busen entblößte. Er sah den silbernen Mond leuchten... "Na du gehst aber ganz schön ran, das hätt' ich dir gar nicht zugetraut!" ertönte Ijos Stimme aus dem Türrahmen. Die blonde Waldelfe lächelte Oth an und stand langsam auf - anscheinend dachte sie gar nicht daran, sich wieder zu bedecken, aber Othender, der sich ebenfalls erhob, fand es viel faszinierender, daß weder Ijo noch die rothaarige Elfe das silberne Leuchten bemerkten. Der Barde rammte seinem Kameraden einen Ellenbogen in die Seite und flüsterte mit einem breiten Grinsen: "Gerade du als Hochelf solltest doch wissen, daß man eine Dame nicht so anstarrt!" Erst jetzt fiel Oth auf, daß sein Blick noch immer am Busen der Waldelfe klebte und er bemühte sich, rasch ein anderes Ziel ins Auge zu fassen. Die blonde Frau hingegen schien es überhaupt nicht zu stöhren. Sie machte zwei rasche Schritte, sodaß sie direkt vor dem weitaus größeren Hochelfen stand und schaffte es irgendwie, ihm einen Kuß auf den Mund zu geben. Oth war so überrumpelt, daß er sich nicht zur Wehr setzte und es einfach geschehen ließ. Ijo nahm lachend die Hand seines Kampfgefährten und führte ihn aus dem Haus. Der Hochelf war zu perplex, zu sehr in Gedanken und Erinnerungen versunken, um irgendetwas anderes zu machen, als hinter seinem Freund herzutrotten. Der silberne Mond... dann hatte er also tatsächlich Recht gehabt und es war keine Einbildung gewesen... damals... Umso wichtiger war es, sich an das zu halten, was er damals erfahren hatte... Umso wichtiger war es, daß ihn niemals wieder eine Frau so berührte... Die Kälte... er hatte auch jetzt, bei dem Kuß nichts davon gespürt. Wo war die Kälte? Durfte er...? Nein. Er konnte sich noch ganz genau an den Wortlaut erinnern. Es war ihm verboten.