Zwei Jahre und es bleibt ein müdes Lächeln
Will man für den derzeitigen Stand der MMORPG-Branche ein paar Schlagworte finden, dann wird man dieser Tage schnell fündig:
Blizzard macht die Klasse der Paladine und Schamanen gleichermaßen der Horde und Allianz zugänglich.
Diese unscheinbare Meldung eignet sich hervorragend als zusammenfassendes Resumee und aktuelle Zustandsbeschreibung.
Seit jeher stellt sich der Paladin als gottesfürchtiger Streiter dar, der sich dem guten Einsatz für die Menschen verschrieben hat und mit einem Schlag wird alles anders. Ein Aufschrei des Entsetzens durchfuhr weite Teile nicht nur der Onlinespieler, als sie der geplanten Klassenlästerung gewahr wurden. Jahrzehnten von D&D, AD&D und wieder D&D, und Hunderten von Computerspielen zum Trotz beschloss der Elefant Blizzard im RPG-Laden mit dieser in Stein gemeißelten Tradition zu brechen und seine eigenen Gesetze zu schaffen.
Diese Willkür mag zwar gutes Recht unter Fantasy-Schaffenden sein, zumal, ungeachtet des im realen Leben liegenden Namensursprungs, sich der Paladin auch schon andernorts und weit vor WoW einer Binärvergewaltigung ausgesetzt sehen musste. Es wird den Verantwortlichen schon eine halbwegs glaubwürdige Geschichte einfallen, um den Konsumenten diesen abrupten Wandel zu erklären. Zumal die Mehrheit der Blizzard-Gläubigen selbst dann nicht zum Denken greifen dürfte, wenn sich plötzlich Zwerge rasieren, Elfen auf ihren Speiseplan Menschenfleisch setzen oder gar Orks die ersten Automobilfabriken eröffnen würden.
Warum auch? Hintergrundgeschichten bedeuten für das Gros der Konsumenten heutzutage nicht mehr als lästige Buchstaben und Glaubwürdigkeit hilft in keinster Weise, beim Protzen mit der Rüstung oder dem schnellen Töten der Mitspieler.
Aber was ist an dieser Meldung für ge- und entsetzte MMORPG-Fanbois dann so bemerkenswert?
Wieso nicht einfach weiterhin über kritiklose Unterschichtenspieler, die sich so einen Schwachsinn bieten lassen, den Kopf schütteln und wie bisher seine eigenen Wege gehen?
Weil sich hinter dieser Meldung eine noch viel grausamere Wahrheit verbirgt und die Gefahr besteht, dass andere auf diesen Zug aufspringen werden.
Paladine mutieren nicht plötzlich zu Menschentötern und Schamanen zu Eingottverehrern weil damit der virtuellen Welt eine interessante Wendung gegeben wird.
Sie tun das nur zu einem Zweck:
Um Geld zu sparen.
Wo die Konkurrenz viel Arbeitskraft und Geld investierte und mühsam direkte Gegenklassen wie z.B. den Schattenritter aus der Taufe hob, greift der derzeitige Markführer zu Copy & Paste und stellt Ausgeglichenheit durch Gleichheit her.
Bequemer und billiger kann ein Lösungsweg nicht sein und dies von einer Firma, die in den letzen knapp zwei Jahren alle Umsatzrekorde gebrochen hat. Zwei Jahre in denen der Gewinn abgeschöpft und vermutlich damit der Mutterkonzern mühsam vor der Pleite gerettet werden musste. Zwei Jahre währenddessen in das eigentliche Produkt nur Krümel reinvestiert wurden und der Umfang der Erweiterungen überspitzt formuliert auf einer 3.5"-Diskette Platz finden würde. Zwei Jahre und es ist immer noch kein Ende abzusehen, wann Blizzard einem Klassenzuwachs nicht mehr faul und feige aus dem Wege gehen wird.
So gebärdet sich also der heutige Marktführer?
Was werden zukünftig dann erst Firmen anbieten, die über ein viel kleineres Budget verfügen?
Die Antwort hierauf und das abschließende Fazit fällt ernüchternd und traurig aus.
Massenhaft Käufer konsumieren also ein zunehmend unseriöser auftretendes Produkt.
Kennen wir alle das nicht schon irgendwo anders her?
Auflagenstark aber unglaubwürdig?
So manchem Betroffenen dürfte langsam dämmern, dass sich die Firma Blizzard mit ihrer neuen Politik der "Wertschöpfung vor Fertigungsqualität" produktphilosophisch immer mehr einem Axel Springer Verlag annähert.
Anhänger dieser gespielten Bildzeitung sollten sich also nicht wundern, wenn sie zukünftig noch ein Stück mitleidiger belächelt werden.
Zwei Jahre und es bleibt ein müdes Lächeln.
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